Curatorial Dreaming – eine kollaborative Ausstellungsintervention in Marienfelde

Wer sind wir und was haben wir vor?

Wir sind Gülșah Stapel, Pia Eiringhaus und Nadia Hamou, das Team Outreach der Stiftung Berliner Mauer. Wir setzen am Standort Marienfelde einen Teil des BKM-Kooperationsprojekts „Was uns Verbindet“ um. Das ehemalige Notaufnahmelager Marienfelde liegt als Standort der Stiftung Berliner Mauer am Rande der Stadt. Es ist ein besonderer Ort, der seit seiner Gründung im Jahr 1952 bis heute durchgehend von Erfahrungen von Weggehen und Ankommen geprägt ist. Diese Erfahrungen miteinander in Bezug zu setzen stellt die Weichen für das zukünftige Museum. Der Ansatz für unser Projekt verfolgt das Ziel, diese verschiedenen Erfahrungen in konkreter Zusammenarbeit mit Betroffenen, damals wie heute oder anderweitigen Expert*innen zu verweben und dabei den Blick für den Sinn nicht zu verlieren: Menschsein im Kontext von Flucht und Migration und der musealen Erzählung dessen.

Bei uns steht das Thema Zusammenarbeit im Mittelpunkt. Wir sind überzeugt, dass dies eine Kernkompetenz der Zukunft ist, die aber noch weiter gelernt werden muss. Auch oder vielleicht gerade in Gedenkstätten?

Gülșah Stapel brachte eine Idee aus Kanada mit, die nicht nur Museumskritik übt, sondern von „Kritiker*innen“ konkrete Vorschläge zu Ausstellungen erträumt oder sogar konkret umgesetzt werden: Die „Curatorial Dreams“[1]. Das dazu herausgebrachte Buch und der Austausch mit den Kolleginnen vor Ort führte zur fixen Idee, diesen Ansatz für die Zusammenarbeit im Museums- und Gedenkstättenkontext fortzuentwickeln.

Und dann kam dieses Projekt! Die Idee wurde in das Kooperationsprojekt „Was uns verbindet“ überführt, um einen ersten Experimentierraum dafür zu öffnen.

Konkret haben wir uns dazu entschieden, kollaborativ und interdisziplinär eine digitale Tour mit dem Titel „Flucht nach Deutschland. Eine Erweiterung“ in unserer Dauerausstellung zu entwickeln.

Unsere Ziele sind ambitioniert, der Zeitplan straff: Sechs Monate, sechs Workshops! Im Zeitraum Februar bis Juli 2024 haben wir monatlich gemeinsam mit unserem Dreamteam am historischen Ort des ehemaligen Notaufnahmelagers zusammengesessen und die Ausstellung genau unter die Lupe genommen: Wie lassen sich über bestehende Biographien und Objekte Bezüge zu gegenwärtigen Fluchterfahrungen herstellen? Wo können neue Geschichten und Erfahrungen ihren Platz finden? Wie kann eine empowernde und sensibilisierende Choreographie für eine digitale Tour aussehen?Wie können wir einen positiven Beitrag zu mehr Menschlichkeit und Empathie im aktuellen Verhandeln heutiger Fluchtmigrationen leisten?

Sechs Monate lang wurde betrachtet und analysiert, diskutiert, verflochten und geträumt. Die Ergebnisse leisten einen kreativen kuratorischen Beitrag für traumasensible Ausstellungsinhalte zum Thema Flucht. Auf dem Weg sammeln wir neue methodische Erfahrungen, die wir mit anderen Kurator:innen teilen wollen.

Mit wem arbeiten wir?

Meet the Dreamteam! Wie setzt man so ein Team zusammen? Wer sucht nach welchen Kriterien wie aus? Wie hoch müssen die Teilnehmenden honoriert werden? Wie kann eine Ansprache aussehen? Auf Grund unserer vergangenen Erfahrungen wussten wir, was alles schiefgehen kann und dass die Zusammensetzung eines Teams in Partizipationsprozessen ein Thema für sich ist. Also nahmen wir uns die Zeit, die Gruppe sorgfältig zusammenzusetzen. Denn wie oft hat man schon die Chance, die Schwarmintelligenz von so vielen verschiedenen klugen Köpfen mit je eigenen Perspektiven und Positionierungen zu erleben und sie zur Tiefenbohrung in die eigene Dauerausstellung einladen zu dürfen?

Kollaboration und kreative Team-Prozesse brauchen Vertrauen. Das setzt wiederum eine intensive Beziehungsarbeit und den Aufbau von Netzwerken vor dem eigentlichen Projektbeginn voraus. Da waren wir bereits auf einem guten Weg. Für uns war wichtig, dass unser Team, das für sechs Monate zusammenkam, eine gemeinsame kritische Haltung vertritt, verschiedene Expertisen und Erfahrungen mitbringt und einen klaren Bezug zum Thema „Flucht heute“ hat. Gute Vorgespräche waren ein wichtiger Schritt in der Projektgestaltung.

Für die Atmosphäre war es wichtig, dass sich alle sicher genug fühlten, um sich selbst weder zu wichtig noch zu ernst zu nehmen. Die akribische Vorarbeit und Kuration der Gruppe hat sich voll ausgezahlt.

 

Anuscheh
Popup öffnenAliya
Popup öffnenFiras
Yasmina
Christian
Pia
Nadia
Mahnaz
Charly
Nele
Gülşah
Kathrin
Miriam

Eine wichtige Leitfrage in der Partizipation lautet: Was habe ich davon? Warum sollte ich mich überhaupt beteiligen wollen? Unsere Dreamer sollten nicht nur etwas von sich hineingeben, sondern auch Freude am Prozess und eine gute Erfahrung in der Zusammenarbeit haben.

Warum machen wir das?

Wir glauben, dass kollaboratives Arbeiten die Museums- und Gedenkstättenwelt verbessern kann, sehen aber, dass die Vorbehalte gegenüber einer solchen Öffnung immer noch sehr groß sind. Von Beginn an wurden wir deshalb zum Beispiel gefragt: Wer hat am Ende das Sagen? Wieviel Deutungshoheit gebt ihr ab? Wir wollen Verbindungen schaffen und Empathie füreinander fördern und zwar nicht nur in unseren Ausstellungsnarrativen, sondern auch zwischen Kulturinstitutionen und der Gesellschaft. Dies ist auch ein Teil unserer Outreach Mission für die gesamte Stiftung Berliner Mauer.

Wir wollten einen Weg gehen der genuin offen war. Gesetzt für die Teamarbeit waren folgende Parameter:

  • Das Ziel einer 60-minütigen digitalen Tour zur Ergänzung der Dauerausstellung
  • Gegenwartsbezüge zum Thema „Flucht heute“
  • Empathieförderndes Storytelling für Menschenrechte und Flucht

Wie konnten wir mit dieser Rahmensetzung ins Arbeiten kommen? Unser Weg war eine neue Methode des kollaborativen Kuratierens.

Wie kollaborieren wir?

Wir experimentieren mit einer methodischen Idee, die kreatives Denken und Partizipation im Ausstellungskontext verbinden soll: das Curatorial Dreaming.

Nachdem das Dreamteam kuratiert zusammengesetzt wurde und die Kurator:innen der Institution im Team eine sinnvolle Position eingenommen haben konnte es losgehen.

Die Dreamer gingen in den Workshops von Themenraum zu Themenraum und verknüpften in kurzen Design-Thinking-Phasen konkrete Objekte oder Stationen mit neuen Aspekten oder Geschichten. Am Ende eröffneten Sie ihre erträumte Ausstellung oder Intervention vor der ganzen Gruppe. Anleitende Fragen für die Dreamings waren zum Beispiel: Wenn alles möglich wäre, wie würdest Du das Objekt neu inszenieren? Was würdest du damit erreichen wollen? Wo würdest du deine Geschichte mit welcher Botschaft im Stadtraum zeigen?

Wir haben die Ideen, Ansätze und Themenschwerpunkte in ein Drehbuch zur neuen digitalen Tour übersetzt und in der jeweils nächsten Sitzung gemeinsam kommentiert. So ist aus den Curatorial Dreams eine real entstehende Tour geworden. Einige Ideen sind so simpel und stark, dass wir sie nicht nur digital, sondern auch als physische Intervention in der Ausstellung umsetzen.

Was haben wir bisher erträumt?

Wo soll es hingehen?

Was lange währt wird endlich gut. Im Juli 2024 schauten wir beeindruckt zurück auf die letzten sechs Monate. Die Dreamings waren vorbei und wir staunten noch lange über die Masse an Geschichten, Input und Ideen die das Dreamteam in den kreativen Sitzungen zur Ausstellung erträumt hat.

In der zweiten Jahreshälfte wird die Umsetzung der digitalen Tour „Flucht nach Deutschland“ verfolgt. Mit den Stimmen der Dreamer im Ohr und den Erfahrungen aus den Workshops im Gepäck erarbeitet das Team Outreach eine Drehbuchgrundlage für die Tour und einen Produktionsplan für die analogen Interventionen. Die Ergebnisse werden zum Teil in Ko-Produktion mit Dreamern oder neuen Partner:innen erarbeitet und in zwei Feedbackschleifen finalisiert.

Die Tour vermittelt das traumasensible Thema „Flucht heute“ über achtsame Soundcollagen, O-Töne und gezielt kuratierte Ruhemomente.

Bevor das Angebot im März öffentlich präsentiert und zugänglich gemacht wird, sind Testläufe geplant, um das übergeordnete Ziel der Neuperspektivierung und Empathieförderung zu überprüfen. Gegebenenfalls wird es zu kurzfristigen Veränderungen beziehungsweise Anpassungen kommen.

Habt Ihr noch Fragen?

Meldet euch gerne bei uns: outreach@stiftung-berliner-mauer.de


[1] Butler, S. R., Lehrer, E. (Hrsg.) (2016). Curatorial Dreams: Critics Imagine Exhibitions. McGill’s University Press.